Bereitschaftpflege
Oder: Mit einem Bein im Knast und mit dem anderen in der Privatinsolvenz. Bereitschaftspfleger müssen sich selbst beantworten, ob sich das Risiko lohnt und ob man mit dem Leid anderer Menschen Kasse machen darf.
Ungeklärter Rechtsbegriff
Sachlage
Der Begriff Bereitschaftspflege taucht in den Medien im Zusammenhang mit dem Verwaltungsakt Inobhutnahme faktisch schon hyper-inflationär auf. Aber der Begriff Bereitschaftspflege kommt im SGB VIII überhaupt nicht vor, ist dort schlicht nicht vorhanden.
Inwieweit der Begriff Bereitschaftspflege in der Korrespondenz zwischen betroffenen Eltern, dem ASD eines Jugendamts und den Gerichten auftaucht, kann ich nicht beurteilen.
Insgesamt ist der Begriff Bereitschaftspflege daher sehr fragwürdig.
Mit Bereitschaftspflege ist während des Verwaltungsakts Inohutnaheme in der Regel die Unterbringung eines Kindes bei Pflegepersonen gemeint. Das Kind wird bei Privaten untergebracht, entweder bei
- einer Pflegefrau,
- einem Pflegemann,
- Pflegeeltern,
- etc.
jeweils mit oder ohne schon in der Wohnung befindlichen Kindern. Das Kind wird somit in den privaten Haushalt der Pflegeperson/-en aufgenommen.
Das heißt: Das Kind wird nicht in einer Einrichtung eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe oder eines Trägers der freien Jugendhilfe untergebracht.
Im SGB VIII wird zwischen
- Vollzeitpflege, also in einer anderen Familie und
- Heimerziehung, also einer Einrichtung über Tag und Nacht oder einer sonstigen betreuten Wohnform
unterschieden.
Fazit: Die Sachlage ist somit hoffentlich verständlich. Wenn nicht, dann bitte hier klicken.
Wie sieht es mit der Beurteilung der Rechtslage aus?
Ungeklärte Rechtslage
Sachlage und Rechtslage sind zwei sich überschneidende Welten. Eine Sachlage kann entweder als rechtswidrig oder rechtmäßig beurteilt werden. Hält sich jemand an einem bestimmten öffentlichen Ort (z.B. auf einem öffentlichen Platz) auf, hält er sich regelmäßig zu Recht dort auf, denn es gilt Art. 2 GG. Hat die Person jedoch z.B. von der Polizei einen Platzverweis und die Aufforderung zum Verlassen bekommen, dann wird sein Aufenthalt (nach Ablauf einer Schonfrist zum Verlassen) rechtswidrig.
Systematische Einordnung
Das erste Problem ist das geringste.
-
Vollzeitpflege und Heimerziehung sind systematisch Leistungen der Jugendhilfe und im Zweiten Kapitel des SGB VIII, dort im Vierten Abschnitt und dort im Ersten Unterabschnitt eingeordnet.
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Die Inobhtutnahme ist Handeln der öffentlichen Gewalt und gehört systematisch zu den hoheitlichen Aufgaben. Sie ist dort im Dritten Kapitel und dort im Ersten Abschnitt aufgeführt.
SGB VIII - Buchkapitel | ||
---|---|---|
1. Allgemeine Vorschriften | ||
2. Leistungen der Jugendhilfe | ||
Erster Abschnitt | ||
... | ||
Vierter Abschnitt | ||
Erster Unterabschnitt | ||
§ 33 Vollzeitpflege | ||
§ 34 Heimerziehung | ||
3. Andere Aufgaben der JH | ||
Erster Abschnitt | ||
§ 42 Inobhutnahme |
Systematisch sind weder Vollzeitpflege noch Heimerziehung den sogenannten Anderen Aufgaben der Jugendhilfe zugeordnet. Bei den sogenannten Anderen Aufgaben der Jugendhilfe handelt es sich um Aufgaben, für die die öffentliche Gewalt die rechtliche Verantwortung trägt. Vereinfacht kann man somit sagen, dass die Anderen Aufgaben die Hoheitlichen Aufgaben bzw. die Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Gewalt sind.
Systematisch ist das im SGB VIII mehrfach dargestellt:
- In § 2 Abs. 3 SGB VIII werden die Anderen Aufgaben der Jugendhilfe aufgezählt.
- Im Vierten Kapitel werden in §§ 42-60 SGB VIII die Anderen Aufgaben präzisiert.
- In § 76 Abs. 1 SGB VIII ist geregelt, dass die Beteiligung anerkannter Träger der freien Jugendhilfe (sprich: Firmen der Privatwirtschaft) an der Wahrnehmung anderer Aufgaben möglich ist:
Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe können anerkannte Träger der freien Jugendhilfe an der Durchführung ihrer Aufgaben nach den §§ 42, 42a, 43, 50 bis 52a und 53a beteiligen oder ihnen diese Aufgaben zur Ausführung übertragen.
§ 42 Abs. 1 Satz 2 1-ster Halbsatz SGB VIII lautet:
Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen; ... .
Vorläufiges Fazit: Jetzt ist der Blick zwar schon geschärft und trotzdem: Nur auf den ersten Blick scheint es so zu sein, dass auf Grund der systematischen Einordnung ein Kind während der Ausübung des Verwaltungsakts Inobhutnahme in einer Bereitschaftspflege untergebracht werden kann (nämlich bei einer geeigneten Person).
Systematische und systemische Mängel
Vorab
Die systemischen Mängel sind eigentlich allen Verantwortlichen seit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24.05.1949 bekannt. Trotzdem trat das Vorläufergesetz, das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG), wieder in kraft, wurde modifiziert, in Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) umbenannt und erst am 1. Januar 1991 durch das SGB VIII ersetzt. Das SGB VIII hat dabei systematisch die systemischen Mängel nicht nur perpetuiert, sondern verschlimmert. Nachfolgend gehe ich auf die historische Entwicklung nicht und zum §-42-SGB-VIII-Verfassungsbruch nur rudimentär ein.
Vertragsrecht - Arbeitsrecht
Mit Bereitschaftspflege geht jedenfalls die verantwortliche Person bzw. die verantworliche Gruppe von Privatpersonen einen Vertrag ein. Dieser Vertrag bedarf der genauen Analyse.
Schon der Wortlaut aus § 76 Abs. 1 SGB VIII lässt es nicht zu, dass eine Privatperson an der Wahrnehmung anderer Aufgaben beteiligt werden kann. Es können, wenn überhaupt, nur Träger der freien Jugendhilfe beteiligt werden. Das heißt, die Beteiligung einer Privatperson oder einer Personenvereinigung ist von Gesetz wegen gar nicht vorgesehen. Auch in den entsprechenden Bundestagsdrucksachen findet sich nichts dazu, dass die Beteiligung von Privatpersonen oder Personenvereinigung überhaupt geplant war.
Fakt ist:
- Eine Privatperson ist eine natürliche Person und grenzt sich daher von der juristischen Person ab. Das heißt, eine natürliche Person ist keine juristische Person_; weitere Info. Eine Privatperson grenzt sich auch deutlich von einer Einpersonengesellschaft ab: Gerade eine Privatperson möchte durch ein zugelassenes Konstrukt einer Einpersonengesellschaft vor allem die Haftung mit seinem Privatvermögen ausschließen. Eine Einpersonengesellschaft grenzt sich zudem klar vom Einzelkaufmann ab.
- Eine Personenvereinigung kann zwar eine wie auch immer geartete Gesellschaft bilden, hier zum Beispiel eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ein nicht eingetragener Verein, o.a. und wird damit eine juristische Person. Das heißt, diese Personenvereinigung hat vom Gesetz anerkannte Rechte und Pflichten. Damit ist diese Personenvereinigung aber noch nicht Träger der freien Jugendhilfe. Dafür bedarf es nämlich der Anerkennung nach § 75 Abs. 1 SGB VIII:
Als Träger der freien Jugendhilfe können juristische Personen und Personenvereinigungen anerkannt werden, wenn sie ...
Das jeweilige Landesjugendamt ist zuständig dafür, dass eine juristische Person oder eine Personenvereinigung als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt wird.
Damit ist gesetzlich klar definiert und abgegrenzt:
- Zwischen Privatperson und Personenvereinigung auf der einen Seite und einem Träger der freien Jugendhilfe auf der anderen Seite existiert eine gravierender Unterschied. Ein Träger der freien Jugendhilfe ist grundsätzlich immer eine juristische Person oder eine Personenvereinigung mit Anerkennung im Status: Träger der freien Jugendhilfe!
- Eine Privatperson kann kein Träger der freien Jugendhilfe sein. Dagegen kann eine Einpersonengesellschaft (z.B. GmbH, gGmbH, etc.) die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe erhalten.
Per se kein Träger der freien Jugendhilfe | Träger der freien Jugendhilfe möglich |
---|---|
Privatperson | Einpersonengesellschaft mit Anerkennung |
Personenvereinigung | Personenvereinigung mit Anerkennung |
Mein vorläufiges Fazit: Damit grenzt sich die Bereitschaftspflege klar und deutlich vom Träger der freien Jugendhilfe ab.
In Folge stellen sich die rechtserhebliche Fragen:
- Mit wem hat dann eine Pflegeperson / eine Personenvereinigung einen Vertrag abgeschlossen?
- Um was für einen Vertrag handelt es sich dabei? Öffentlich-rechtlich? Privatrechtlich? Arbeitsrechtlich?
- Wird beim Eingriff durch Inobhutnahme in u.a. Art. 2 Abs. 2 GG des Kindes und Eingriff in Art. 6 Abs. 3 GG der Erziehungsberechtigten (der Eltern) die unmittelbare Bindung aus Art. 1 Abs. 3 GG und die Gesetzmäßigkeit aus Art. 20 Abs. 3 GG eingehalten?
- Was gilt für die Haftung, wenn z.B. dem Kind in der Bereitschaftspflege etwas passiert?
In § 76 Abs. 2 SGB VIII ist auch einfach-rechtlich eindeutig geregelt:
Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe bleiben für die Erfüllung der Aufgaben verantwortlich.
Das sieht der Bundesgerichtshof (BGH) z.B. in Haftungsfragen ganz anders als es im Gesetz steht! Dazu aber erst später mehr.
Es müssen also Detailfragen geklärt werden; das kommt, sobald ich dazu Zeit habe, in den nächstes Seiten.