Abgrenzung der Begriffe
Wie gesagt, in § 185 StGB - Beleidigung
- wird keine Definition benannt, was eine Beleidigung ist,
- ist kein Regelbeispiel benannt!
Folgende Begriffe sind daher meiner Meinung nach abzugrenzen:
- Schmähung / Schmähkritik / Formalbeleidigung
- wahre Tatsachenbehauptung
- unwahre Tatsachenbehauptung
- Meinung / Werturteil
Im nachfolgenden stelle ich meine Überlegungen in Verbindung mit den von mir recherchierten Dokumenten in Form der eingearbeiteten Verweise zur Verfügung. Ich stelle aber klar, dass damit das Thema nicht vollständig abgearbeitet ist. Jeder Fall ist individuell zu behandeln. Deshalb ist in eigener Angelegenheit ein Rechtsanwalt die richtige Wahl.
Bei der Abgrenzung kann es fließende Übergänge geben. Zudem wirkt das Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG, das aber durch Art. 5 Abs. 2 GG begrenzt wird.
Ein Vergehen aus den präzise beschreibendenen Tatbeständen Üble Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB) verdrängt Beleidigung (§ 185 StGB). Das heißt: § 185 StGB wird durch §§ 186, 187 StGB zurückgetreten; darum muss auf unwahre Tatsachenbehauptungen nicht umfangreich vorgetragen werden.
1. Schmähung / Schmähkritik / Formalbeleidigung
Oder: Was man tunlichst vermeiden sollte!
Allen drei Begriffen ist gemeinsam, dass durch ihre Anwendung die inhaltliche bzw. sachliche Stellungnahme soweit in den Hintergrund tritt, dass damit fast ausschließlich die Herabsetzung einer Person bewirkt wird. Bei der Bewertung als Formalbeleidigung tritt der einzelne Begriff in den Vordergrund, z.B. Arschloch, Drecksau, Hurensohn, etc.
Schlicht beleidigende Begriffe, was auch immer das im Einzelnen genau sein mag, sind keine Beleidigung. Insoweit liegt mir nur 1 BvR 1318/07 bezüglich der Äußerung Dummschwätzer in einer emotional geführten Debatte vor; dazu Rn 19
Infolgedessen durfte das Amtsgericht den Beschwerdeführer aufgrund der getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht wegen Beleidigung verurteilen, ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen vorzunehmen. Hält ein Gericht eine Äußerung fälschlich für eine Schmähkritik mit der Folge, dass eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unterbleibt, so liegt darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn diese darauf beruht (vgl. BVerfGE 82, 272 <281>; 93, 266 <294>).
und Rn 20
Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>). Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 54, 129 <137>; 93, 266 <295>; 94, 1 <9>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016 - „durchgeknallter Staatsanwalt“).
Fazit jedenfalls daraus:
- Tatsachenbehauptungen und insbesondere wahre Tatsachenbehauptungen fallen in der Regel nicht unter den Begriff Formalbeleidigung.
☞ Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. (in Rn 19 in BVerfG 1 BvR 901/11 vom 25.10.2012) - Erst wenn Tatsachenbehauptungen erweislich nicht wahr sind, fängt Üble Nachrede an, die aber dann noch lange keine Schmähung oder Schmähkritik darstellen muss. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) kann eine Schmähkritik rechtfertigen, worauf man es aber nicht ankommen lassen sollte. Im Übrigen wird die Beleidigung durch die Üble Nachrede und die Verleumdung verdrängt, womit Tatsachenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen sind.
Damit ist klar, dass man Schmähung / Schmähkritik / Formalbeleidigung tunlichst vermeiden sollte. Ein Rechtskampf um die Rechtfertigung berechtigter Interessen nach (§ 193 StGB) lohnt sich in der Regel nicht.
Differenzierung: Schmähkritik vs Formalbeleidigung
Schmähkritik und Formalbeleidigung weisen gewisse Überschneidungen auf und werden daher oft im gleichen Kontext und damit oft auch falsch verwendet. Es handelt sich aber um rechtlich unterschiedliche Konstrukte mit jeweils eigenen Merkmalen und Anwendungsbereichen.
Schmähkritik | Formalbeleidigung | |
---|---|---|
Äußerung, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht | Verwendung gesellschaftlich absolut missbilligter und tabuisierter Begrifflichkeiten, die kontextunabhängig ehrverletzend sind | |
Sachbezug | Hat Sachbezug, der zu bewerten ist | Typischerweise fehlt jeglicher Sachbezug |
Wortwahl / Form | Begriffe, Beschreibung; nicht zwingend vulgär oder tabuisiert | Verwendung gesellschaftlich geächteter, tabuisierter Begriffe (Schimpfwörter, insbesondere z.B. aus der Fäkalsprache), selten: entstellende Beschreibung |
Kontextrelevanz | Enge Auslegung, hohe Anforderungen durch BVerfG | Strenge Maßstäbe, aber eindeutigere Einstufung |
Grundrechteabwägung | Grundsätzlich erforderlich, entfällt nur bei eindeutiger Schmähung | Typischerweise nicht erforderlich, da Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktritt |
Prüfungsfokus | ☞ Prüfung, des Wahrheitsgehalts bzw. der Herleitung einer Wertung und ob die Wortwahl hingenommen werden muss ☞ Prüfung, ob tatsächlich die Diffamierung im Vordergrund steht (Rechtfertigungsgründe) |
Prüfung, ob gesellschaftlich absolut missbilligte Ausdrücke verwendet wurden |
Strafbarkeit | ☞ Höhere Schwelle, nicht jede überzogene Kritik ist Schmähkritik ☞ Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. (Rn 19 in BVerfG 1 BvR 901/11 vom 25.10.2012) |
Niedrigere Schwelle, da bereits die Verwendung bestimmter Begriffe den Tatbestand erfüllt |
Es muss somit zunächst Klarheit geschaffen werden, ob es sich um einen Fall von Schmähkritik oder um Formalbeleidigung handelt.
Das Bundesverfassungsgericht hat für die Einstufung einer Äußerung als Schmähkritik bewusst hohe Anforderungen gestellt, um die Meinungsfreiheit zu schützen. Nicht jede überzogene oder ausfällige Kritik ist automatisch als Schmähkritik einzustufen. Bei der Formalbeleidigung ist die rechtliche Beurteilung tendenziell eindeutiger, da hier die Verwendung bestimmter gesellschaftlich geächteter Begriffe bereits den Tatbestand der Beleidigung erfüllt.
Liegt keiner dieser Fälle vor, ist stets eine umfassende Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, dem Tatsachengehalt (wahre/falsche Tatsachenbehauptung), der Form der Bekanntgabe, etc. und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vorzunehmen.
Zu beachten sind auch der konkrete gesellschaftliche und zeitliche Kontext, der bei der Bewertung eine Rolle spielen kann und ggf. muss, da sich z.B. die gesellschaftlichen Wertvorstellungen bezüglich der Tabuisierung bestimmter Ausdrücke im Laufe der Zeit wandeln können.
Die Tabelle kann also nur als ein möglicher Orientierungsrahmen dienen und entbindet nicht von der Notwendigkeit einer detaillierten Einzelfallbetrachtung, insbesondere in Grenzfällen.
2. Wahre Tatsachenbehauptung
Wahre Tatsachenbehauptungen sind in der Regel durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Nach § 192 StGB kann die Wahrheit trotzdem beleidigend sein, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
- Den Sohn einer Prostituierten in der Öffentlichkeit als Hurensohn zu bezeichnen kann gleich zwei Personen herabsetzen, nämlich die Mutter und den Sohn auf Grund des Wortes Hure. Hier greift der Auffangtatbestand aus der Beleidigung (§ 185 StGB) in Verbindung mit der Formalbeleidigung.
- Eine Person A begeht einen Diebstahl, wird erwischt und Person B hat das beobachtet. Person A kommt in seinen Kollgenkreis und Person B ruft laut aus: „Da kommt ja der Dieb.“. Die Kundgabe von Person B diente offenbar ausschließlich dem Herabsetzen von Person A, womit § 192 StGB greift.
- Die Buchstaben ACAB (vgl. 1 BvR 257/14, 1 BvR 2150/14) oder FCK BFE oder die Aussage Alle Soldaten sind Mörder können situationsbedingt eine Einzel- und/oder Gruppenbeleidigung nach § 194 Abs. 3 und 4 StGB darstellen.
- Eine Firma behauptete bewiesen wahrheitswidrig Informationen einer Person_A nicht erhalten zu haben. Person A konnte im Internet sorglos behaupten, dass die Firma lügt; § 192 StGB, § 194 Abs. 3 und 4 StGB griffen nicht.
Soweit wahre Tatsachenbehauptungen Voraussetzung für die Bildung einer Meinung sind, sind sie grundsätzlich von der Meinungsfreiheit geschützt, siehe BVerfG 1 BvR 901/11 vom 25.10.2012, Zitat Rn. 19:
Die Behauptung einer Tatsache fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen ist (vgl. BVerfGE 94, 1 <7>). Daher endet der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen davon aus, dass die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst wird.
Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Das gilt auch für Äußerungen, in denen tatsächliche und wertende Elemente einander durchdringen. Bei der Abwägung fällt dann die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (vgl. BVerfGE 94, 1 <8>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>).
Grundsätzlich heißt aber nicht automatisch, denn § 192 StGB - Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises bildet eine Grenze:
Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache schließt die Bestrafung nach § 185 nicht aus, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Wie hervorgehoben, muss aus einer Verurteilung dann das Vorhandensein einer Beleidigung aus
- der Form der Behauptung, oder
- der Verbreitung, oder
- den Umständen, unter welchen sie geschah,
oder in Kombination hervorgehen. Das sind beträchtliche, nicht zu unterschätzende Hürden, weil dann regelmäßig auch Zensur (Verfahren der Inhalts- und Verbreitungskontrolle) zu beachten ist. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG:
Eine Zensur findet nicht statt.
Form der Beleidigung
Wie im Beispiel oben, ist Hurensohn bzw. Hurentocher schon eine Formalbeleidigung. Mit Formalbeleidigungen wird grundsätzlich eine Beleidigung begangen.
Wenn eine wahre Tatsachenbehauptung, die keine Formalbeleidigung ist, sich als wahr erweist, liegt in ihrem faktenbezogenen Inhalt zunächst keine strafbare Beleidigung. Eine Form der Beleidigung ergibt sich auch nicht aus der Zuspitzung: Jemand der wissentlich die Unwahrheit behauptet, dem kann man (auch im Internet) vorwerfen, dass er lügt.
Ich denke aber, dass man bei Verwendung von Lügenbaron oder König der Lügner in den Bereich der ehrenrühriger Äußerung eintritt: Mit Baron oder König wird eine Bewertung eingeführt. Die Fakten müssen im Verhältnis zu der Tatsachenäußerung stehen, was dann im Einzelfall zu prüfen ist.
Es gilt auch eine mögliche Beleidigungsabsicht in Betracht zu ziehen, die aber sodann mit der vertretenen Auffassung, einem berechtigten Interesse (vgl. § 193 StGB) und den Umständen abzuwägen ist. Den Umständen entsprechend können sogar weit über das Überspitzen hinaus wertende Zusätze (z.B. dummdreiste Lüge), zum Teil Schimpfwörter und Vergleiche (bishin mit Roland Freisler in 5 OLG München 13 Ss 81/17 vom 31.05.2017) durchaus zulässig sein.
☞ Aber Vorsicht: Der hier benannte Freisler-Vergleich ist kein Freifahrtschein. Mit OLG Köln 120 Qs 31/24 ist ein Hauptsacheverfahren vor dem AG Brühl eröffnet worden, dessen Ausgang mir nicht bekannt ist. Das OLG Köln nimmt (wie zuvor das AG Brühl) an, dass zwar keine Schmähkritik vorliegt. Aber die weiteren zusätzlichen Äußerungen hätten erhebliches Gewicht, weil der betroffene Richter damit in die Nähe einer Ideologie vergleichbar mit derjenigen der Unterstützter des nationalsozialistischen Unrechtsregimes gerückt wird.
Im Bezug auf
Daher endet der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können.
und
Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind.
aus Rn. 19 in BVerfG 1 BvR 901/11 vom 25.10.2012 heißt das, dass der Nachweis einer Beleidigungsabsicht schon so deutlich sein muss, dass man wahre Aussagen nicht mehr hinnehmen muss. Selbst (zum Teil drastisch wertende) Überspitzungen ändern daran meiner Meinung nach nichts. Und wie gesagt, Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG lautet:
Eine Zensur findet nicht statt.
Damit sind für das Recht der persönlichen Ehre aus Art. 5 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 185 StGB - Beleidigung jedenfalls in anhängigen Angelegenheiten sehr enge Grenzen gesetzt.
Verbreitung
Im Presserecht kann das Verbreiten wahrer Tatsachenbehauptungen zu Schlagzeilen-Journalismus und Publikationsexzessen führen. Darauf gehe ich hier aber nicht ein.
Man kann die wahre Tatsachenbehauptung auch eskalieren, z.B. in dem man einen Dieb in unagemessener Form durch Verbreitung wahrer Tatsachen diskreditiert. Wie im obigen Beispiel dargestellt, geht es den Kollgenkreis regelmäßig nichts an, ob jemand ein Dieb ist.
Dagegen ist die wahre Tatsachenbehauptung dass jemand lügt auf einem Bewertungsportal, in einem Blog oder auf einer sonstigen privaten Homepage erlaubt.
Die Verbreitung wahrer Tatsachenbehauptungen, Meinungen oder Werturteile im kontextbezogenen Bereich ist in der Regel straffrei.
Meiner Meinung nach wesentlich ist: Die Verbreitung wahrer Tatsachenbehauptungen dient der Meinungsbildung. Die Meinungsbildung in einem Rechtsstaat, insbesondere zu herrschenden Rechtsverhältnissen oder dem Umgang mit Rechtssubjekten, ist von besonderes schützenswertem Interesse. Verantworliche, jedenfalls jene, die im öffentlichen Interesse einer Meinungsbildung stehen, haben es bis zu einem gewissen Grad auch hinzunehmen, dass ihr Handeln im namentlichen Kontext öffentlich wird.
☞ Es kommt daher auf den Einzelfall an.
Umstände, unter welchen sie geschah
Zu den Umständen gehört insbesondere die Aktualität der behandelten Sachverhalte und der Zeitablauf.
Solange zu behandelnde Sachverhalte aktuell sind, also anhängig sind, gilt: Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind.
Der Zeitverlauf übt auch einen nicht zu unterschätzenden Druck auf die Beteiligten aus. Das schützt dann jedenfalls auch bis zu einem gewissen Grad Werturteile.
Erst wenn behandelte Sachverhalte durch Zeitverlauf an Aktualität verlieren, können personenbezogene Äußerungen, die zuvor straffrei waren, strafbar werden. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an.
3. Unwahre Tatsachenbehauptung
Wie oben schon erwähnt, wird Beleidigung (§ 185 StGB) regelmäßig durch die Vergehen aus den präzise beschreibendenen Tatbeständen Üble Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB) verdrängt.
Die erste Verdrängung erfolgt durch § 186 StGB - Üble Nachrede:
Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
☞ Das heißt: Wenn die Tatsache erweislich wahr ist, also ein Wahrheitsbeweis vorliegt, dann liegt kein Vergehen nach § 186 StGB (Üble Nachrede) vor. Es gibt somit bei wahrer Tatsachenbehauptung nur die Möglichkeit, dass eine Beleidigung (§ 185 StGB) vorliegt.
Bei einer Tatsachenbehauptungen kann man nicht immer mit vollständiger Gewissheit wissen, ob sie wahr oder falsch ist. Die Ursachen dafür sind äußerst vielfältig. Regelmäßig kommen fehlende Information oder falsche Schlussfolgerungen in Betracht, z.B. der Trugschluss: Jeder Dackel ist ein Hund, aber nicht jeder Hund ist ein Dackel. Aber auch weitere, hier nicht vorgestellte Umstände sind zu beachten.
Regelmäßig ist derjenige beweispflichtig, der die Tatsachenbehauptung äußert, weil die Nichterweislichkeit der Tatsache als eine objektive Bedingung der Strafbarkeit ausreicht.
Bei einer Strafanzeige muss sich das Gericht zwar bemühen, die Wahrheit oder Unwahrheit der Tatsache aufzuklären. Gelingt das nicht, so geht dies zu Lasten des Täters und die Tat ist strafbar! Weil § 187 StGB (Verleumdung) wiederum § 186 StGB (Üble Nachrede) verdrängt, mache ich hier jeweils ein Fallbeispiel zu Offizialdelikten und Antragsdelikten.
In Einzelfällen kann die Tat nach § 193 StGB – Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein, z.B. wenn die Behauptung im Verlauf eines Gerichtsverfahrens oder in gutem Glauben oder bei einer Strafanzeige aufgestellt wurde. Hat man aber wider besserem Wissen (also bewusst) unwahre Tatsachen behauptet, dann ist § 187 StGB (Verleumdung) einschlägig.
Unwahre Tatsachenbehauptungen sind nicht schützenswert und führen somit fast ausnahmslos zu einer Verurteilung.
4. Meinung / Werturteil
Eine Meinung ist eine Ansicht, eine Gesinnung und zunächst wertfrei, z.B. Ich bin der Meinung, wir sollten Schwimmen gehen.
Bei Eine Pizza für 10 € ist zu teuer. kommt zwar eine Bewertung mit ins Spiel. Eine Pizza mag zwar 10 € kosten, aber es ist noch kein Werturteil enthalten, nämlich dass eine konkret angebotene Pizza für 10 € zu teuer ist.
Werturteil: Vermengung von Tatsachenbehauptung und Meinung
Tatsachenbehauptungen sind durch Art. 5 Abs. 1 GG nicht so umfänglich geschützt wie die Meinungsäußerung; das sagt das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 85, 1 (16f):
Für Tatsachenbehauptungen gilt dagegen der Satz, daß die Vermutung zugunsten der freien Rede spreche, nur eingeschränkt. Soweit Tatsachenbehauptungen nicht von vornherein außerhalb des Schutzes von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bleiben, sind sie Einschränkungen im Interesse anderer Rechtsgüter leichter zugänglich als Meinungsäußerungen (vgl. BVerfGE 61, 1 8). Das gilt auch, wenn sich wertende und tatsächliche Elemente in einer Äußerung so vermengen, daß diese insgesamt als Werturteil anzusehen ist. Die Richtigkeit der tatsächlichen Bestandteile kann dann im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen. Enthält die Meinungsäußerung erwiesen falsche oder bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen, so wird regelmäßig das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter dem durch das grundrechtsbeschränkende Gesetz geschützten Rechtsgut zurücktreten. Auch in diesem Fall ist freilich zu beachten, daß an die Wahrheitspflicht im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden dürfen, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so auf die Meinungsfreiheit insgesamt einschnürend wirken können (vgl. BVerfGE 54, 208 [219 f.]; 61, 1 [8]).
Vermengen sich Meinung und Tatsachenbehauptung zu einem Werturteil, dann findet eine Abwägung statt.
☞ Enthält das Werturteil erwiesen falsche oder bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen, dann tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig zurück.
Bei erwiesen falschen oder bewußt unwahren Tatsachenbehauptungen ist die Verleumdung (§ 187 StGB) zu beachten.
☞ An die Wahrheitspflicht sind dabei keine übertriebenen Anforderungen zu stellen, so dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit insgesamt nicht eingeschnürt wird. Das BVerfG hat das in der gleichen Entscheidung näher erläutert, BVerfGE 85, 1 also ganz lesen.
5. Mein Fazit
Tatsachenbehauptungen oder deren Bestandteile in Werturteilen sind somit stets dahingehend zu prüfen, ob sie wahr oder falsch sind und in welcher Weise sie verwendet werden.
Stand der Bearbeitung: 01.03.2024 / Besucherzähler In Flash